Agiles Arbeiten

Veröffentlicht 24. April 2023

von Karoline Tipke

Agiles Arbeiten im öffentlichen Umfeld

Zurzeit werden viele Verwaltungsleistungen im Rahmen des OZG (Onlinezugangsgesetz) digitalisiert. Das Gesetz regelt die Digitalisierung von rund 575 Verwaltungsleistungen für Bürger:innen und Unternehmen in Deutschland. Dabei steht im OZG fest verankert, dass die Umsetzung mit Hilfe von agilen Methoden erfolgen soll. In diesem Zusammenhang stellt sich unweigerlich die Frage: Funktioniert agiles Arbeiten im öffentlichen Umfeld?

Im agilen Projektmanagement wird versucht, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und diese gegebenenfalls proaktiv anzugehen. Dabei wird häufig iterativ vorgegangen. Agile Methoden wie Scrum oder Kanban stehen also in einem starken Kontrast zur Arbeit in der Verwaltung, wie man sie sich typischerweise vorstellt: Dailys vs. Statusmeetings, Reviews vs. formelle Abnahmen nach Protokoll, Tools wie Jira, Confluence und Co. vs. Papierakte. Diese Liste könnte noch endlos weitergeführt werden. Nach 1,5 Jahren Mitarbeit in einem Projekt im Bereich des OZG, möchte ich einige meiner Erfahrungen teilen.

Unterschiede im Projektaufbau

Die erste Herausforderung steckt im Projektaufbau. Dieser gestaltet sich häufig anders, als wir es gewohnt sind (Kunde <-> Projektteam). Als PPO (Proxy Product Owner) arbeite ich eng mit dem sogenannten Leistungsverantwortlichen (ähnlich dem FPO = Fachliche Product Owner) zusammen. Der Leistungsverantwortliche ist auf Seiten der Verwaltung für die Entwicklung des Online-Dienstes zuständig. Da er zeitlich dieser Aufgabe nicht vollumfänglich nachgehen kann, bin ich als PPO in diesem Projekt für alles, was den Online-Dienst betrifft, verantwortlich. In unserem Projekt gibt es zusätzlich eine sogenannte Projektsteuerung, welche durch einen weiteren Dienstleister besetzt ist. Die Aufgabe der Projektsteuerung besteht darin, den Kunden in seiner täglichen Arbeit – vor allem in der Koordination und Dokumentation – zu unterstützen. Zusätzlich gibt es viele Dinge, die Richtung OZG-Programm dokumentiert und kommuniziert werden müssen, welche ebenfalls von der Projektsteuerung übernommen werden.

Durch dieses Dreieck von PPO, Kunde und Projektsteuerung wird die gesamte Kommunikation deutlich komplexer. Zuständigkeiten, Vertreterregelungen und Kommunikationswege müssen immer wieder neu definiert werden. Zusätzlich gibt es in der Verwaltung und im OZG-Programm Dokumentationspflichten. Für Termine mit dem Kunden und anderen Stakeholdern werden deshalb „lebende“ Confluence-Seiten genutzt. Diese Seiten werden bei jedem Termin um die essenziellen Entscheidungen und Informationen ergänzt. Wichtig hierbei ist, sich möglichst kurz zu halten und auf das Wesentliche zu beschränken. Auf diese Weise wird alles Nötige dokumentiert, ohne umfassende Gesprächsprotokolle anfertigen zu müssen. Um eine offene und transparente Kommunikation zu gewährleisten, haben alle Projektbeteiligten Zugang zu Jira und Confluence. So können sie die benötigten Informationen und Arbeitsstände selbständig und aktuell einsehen.

Agile Arbeitsweise

Die zweite große Herausforderung besteht im Unterschied der Arbeitsweisen. Das OZG schreibt eine Umsetzung der Dienste in agiler Arbeitsweise vor. Allerdings ist das OZG-Programm nicht agil aufgesetzt. Konkret meine ich damit Meilensteine mit Steuerungsindikatoren, die zu bestimmten Zeitpunkten erreicht werden müssen. Dies steht im Gegensatz zur Umsetzung des Projektes nach Scrum, wo in zweiwöchigen Sprints gearbeitet wird. Dabei muss ich als PPO immer wieder darauf achten, dass Anforderungen von außen in diesen Prozess integriert werden. Wir haben einen wöchentlichen Termin eingeführt, in dem alle Anforderungen und Entscheidungsbedarfe mit unserem FPO besprochen werden. Hierdurch stellen wir sicher, dass Anforderungen rechtzeitig bekannt sind, Informationen fließen und benötigte Entscheidungen zeitnah getroffen werden. Besonders wichtig: Tickets mit unbekannten Abhängigkeiten werden nicht in die Sprints aufgenommen. Der Erfahrung nach können Zuarbeiten von extern länger dauern als anvisiert und werden daher im Falle des Falles einen Sprint nach hinten geschoben.

Ein weiterer Faktor ist, dass die zuständigen Verwaltungsstellen häufig keinen oder wenig Kontakt mit agilen Methoden hatten. Für das Projekt bedeutet dies, dass wir immer wieder unsere Arbeitsweisen erklären und diese auch in „Ways-of-Working“-Workshops gemeinsam erarbeiten. Meiner Erfahrung nach sind diese schlanken Arbeitsweisen zunächst eine Herausforderung für die Verwaltung. Mit der Zeit werden die Vorteile jedoch deutlich und die Zusammenarbeit fällt immer leichter. Inzwischen sind Workshops wie Retrospektiven und „Lessons Learned“ ein fester Bestandteil. Getreu dem Motto von Scrum „inspect and adapt“ betrachten wir regelmäßig unsere Zusammenarbeit und bessern gegebenenfalls nach.

Bildlich beschreiben kann ich das Ganze so: Wir verteidigen unser kleines gallisches Dorf Agilien immer wieder gegen das große Reich des römischen Wasserfalls. Unser Zaubertrank besteht dabei aus den Werten von Scrum:

  • Commitment/Engagement: Wichtig ist, sich darauf zu verständigen, wie agile Arbeitsweisen genutzt werden. Als Projektteam hilft es enorm, sich immer wieder für die Einhaltung dieser Arbeitsweise stark zu machen. Insbesondere wenn um das Projekt herum andere Arbeitsweisen bestehen und eventuell von außen herangetragen werden. Zusätzlich ist eine gemeinsame Produktvision sinnvoll.

  • Mut: Auf der einen Seite erfordert es Mut, diese neuen Arbeitsweisen einzubringen und auch darauf zu bestehen, genauso zu arbeiten. Auf der anderen Seite erfordert es Mut, sich darauf einzulassen und das agile Arbeiten anzunehmen.

  • Offenheit: Ein weiterer wichtiger Punkt ist, das agile Arbeiten immer wieder zu erklären. Einwände sollten angenommen, das Vorgehen überdacht und bei Bedarf angepasst werden. Es hilft, Probleme offen anzusprechen und diese gemeinsam zu lösen.

  • Fokus: Die Produktvision darf auf keinen Fall verloren gehen! Die Herausforderungen besteht darin, sich nicht durch Meilensteine, Steuerungsindikatoren und EfA-Kriterien ablenken zu lassen.

  • Respekt: Im Umgang miteinander respektvoll zu sein und dabei immer den Hintergrund der einzelnen Akteure im Hinterkopf zu behalten – das sorgt für eine reibungslose Kommunikation mit allen Beteiligten.

Ich denke, bei Projekten im öffentlichen Umfeld können wir das Verständnis für agiles Arbeiten auf Seiten der Verwaltung erhöhen und als eine Art Botschafter für neue Methoden fungieren. Mit Glück färbt ein wenig von unserer Arbeitsweise auf die Verwaltung ab. Agiles Arbeiten im öffentlichen Umfeld kann funktionieren, wenn man als Projektteam seine Arbeitsweise immer wieder mit Humor und nach den Scrum-Werten nach außen trägt und kommuniziert. Wichtig dabei: Das gesamte Projektteam muss sich darüber im Klaren sein, wie es zusammenarbeiten möchte und dieses dann auch gemeinsam leben. Wie in jedem Projekt gilt es, Dinge, die nicht optimal gelaufen sind, ohne Wertung anzusprechen, sie gemeinsam zu verbessern und dabei den „Zaubertrank“ des agilen Arbeitens weiter zu verbreiten.


Deine Expertin: Karoline Tipke arbeitet als Product Ownerin bei neusta enterprise services und ist Expertin für Anforderungen aus dem Umfeld des Onlinezugangsgesetzes (OZG).


Du willst mehr über das Thema erfahren?
Karoline freut sich, von dir zu hören: k.tipke@neusta.de 
www.neusta-es.de/oeffentlicher-sektor

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert