Barrierefreiheit ein Erfahrungsbericht

Veröffentlicht 14. November 2024

von Tamara Piontek

Barrierefreiheit – ein Erfahrungsbericht

Die Begriffe „Inklusion“ und „Barrierefreiheit“ sind mittlerweile in aller Munde. Sowohl in den sozialen Medien als auch im täglichen Sprachgebrauch tauchen sie immer wieder auf. In der IT-Branche dreht sich alles um „digitale Barrierefreiheit“. Hierfür gibt es diverse Checklisten mit Richtlinien, die für diesen Bereich festgelegt wurden. Jedoch bedeutet Barrierefreiheit so viel mehr: Sie ist insbesondere für Menschen mit einer oder mehreren Behinderungen von unschätzbarem Wert. Barrierefreiheit ist also kein Modetrend. Viele Menschen werden tagtäglich mit diesem Thema konfrontiert. Ich selbst auch.

Ich heiße Tamara und arbeite bei der neusta enterprise services im Backoffice-Team und wurde mit einer hochgradigen Sehbehinderung geboren. Mein rechtes Auge ist vollständig blind. Auf dem linken Auge habe ich noch ein Sehvermögen von knapp 20 Prozent. Hinzu kommt noch eine starke Gesichtsfeldeinschränkung. Das bedeutet, dass ich sowohl keine räumliche als auch keine dreidimensionale Sehfähigkeit habe sowie einen sogenannten „Nystagmus“. Der Nystagmus ist ein ständiges, unkontrolliertes Zittern der Augen, was mir im Alltag am meisten Schwierigkeiten bereitet. Meine Augen sind ständig in Bewegung und stehen nie still, egal ob ich wach bin oder schlafe. Ich bin daher nicht in der Lage mit meinem Auge einen Punkt zu fixieren und mein Gleichgewichtssinn ist dadurch stark beeinträchtigt.

Mein Arbeitsalltag

Tools und Gadgets

Meine Beeinträchtigung wirkt sich auch auf meinen Arbeitsalltag aus. Hier komme ich dank einiger Hilfsmittel und meiner Kolleg:innen, die mich unterstützen, gut zurecht. Zu meinen Aufgaben bei der neusta enterprise services gehören unter anderem die Ablage der Ein- und Ausgangsrechnungen, Korrespondenz (E-Mail/Telefon), Ausdrucken und Einscannen von Dokumenten, die Bestellung der Büroartikel sowie die Bearbeitung der Eingangspost. Mein Arbeitsplatz im Büro ist sehr gut auf meine Bedürfnisse ausgerichtet: Mir steht ein großer Monitor mit einem beweglichen Schwenkarm zur Verfügung, den ich nach Belieben einstellen kann. Auf meinem Computer ist eine Vergrößerungssoftware installiert. Diese vergrößert den gesamten Inhalt auf dem Bildschirm und ich kann Kontraste und Farben nach Belieben einstellen. So kann ich z. B. Dokumente, Mails und Websites optimal sehen. Inzwischen bietet die Windows-Bildschirmlupe dieselben Möglichkeiten, weshalb ich diese immer öfter verwende, da sie mit allen Windows-Produkten auf dem Rechner kompatibel ist.

Des Weiteren befindet sich an meinem Platz ein sogenanntes Bildschirmlesegerät. Eine kleine Kamera sowie eine Platte sind mit meinem Monitor verbunden. Auf der Platte kann ich Dokumente in Papierform ablegen, um diese in vergrößerter Form mit Hilfe der Kamera auf den Monitor zu übertragen. Das Bildschirmlesegerät ist aber sowohl von der Technologie als auch von der Qualität her inzwischen etwas veraltet. Darum nutze ich im Arbeitsalltag überwiegend den Scanner in unserem Büro. Jedoch ist das Bildschirmlesegerät sehr hilfreich, wenn ich zum Beispiel ein Formular von Hand ausfüllen muss.

Hindernisse

Dennoch gibt es in meinem Aufgabenbereich auch Hindernisse zu bewältigen. Zu den größten Barrieren bei meiner Arbeit gehört für mich die Bearbeitung der Eingangspost. Um diese lesen und bearbeiten zu können, muss ich entweder mein Vergrößerungsglas benutzen oder die Briefe einscannen, was mich viel Zeit und Mühe kostet. Beim Ausdrucken und Einscannen von Dokumenten ist das Problem ähnlich. Da es für mich sehr schwierig ist, Dokumente in Papierform zu erkennen, muss ich dabei immer strategisch vorgehen. Das heißt, dass ich jedes Dokument einzeln ausdrucken oder einscannen muss, um nicht den Überblick zu verlieren. Ich hoffe, dass irgendwann alles digital sein wird und ich gar keine Dokumente in Papierform mehr bearbeiten muss. Denn die Arbeit am Bildschirm mit digitalen Dokumenten fällt mir leichter. Hier kann ich die Schriftgröße oder Kontraste so einstellen, dass ich alles ideal sehe.

Ein weiteres Hindernis in meinem Job ist die Tatsache, dass nach wie vor viele Internetseiten noch nicht barrierefrei gestaltet sind. Zu meinen Aufgaben gehört auch der Einkauf unserer Büroartikel. Leider ist die Internetseite des Onlineshops, über den wir unsere Büroartikel beziehen, sehr unübersichtlich. Es gibt viele Slides, die sich plötzlich öffnen, sobald man sich mit der Maus auf der Webseite bewegt. Auch wichtige Infos werden nicht so deutlich hervorgehoben, dass man sie auf Anhieb finden könnte. Ich hoffe sehr, dass Barrierefreiheit auf Websites zukünftig besser umgesetzt wird, da viele blinde und sehbehinderte Menschen gerne online bestellen. Denn nicht alle sind mobil genug sind, um beispielsweise in den nächsten Supermarkt zu gehen.

Barrieren auf dem Weg zur Arbeit

Auch auf dem Arbeitsweg begegne ich Barrieren: Zu den größten zählen zum Beispiel Treppen und Bordsteinkanten, da mir das dreidimensionale Sehen fehlt und für mich alles wie eine Fläche aussieht. Ich bin daher auf meinen weißen Blindenstock angewiesen, mit dem ich Unebenheiten auf dem Boden ertasten kann. Zudem fällt mir das Treppensteigen wegen meines schlechten Gleichgewichtsinns sehr schwer. Da ich auf Grund meiner Sehbehinderung kein Auto fahren kann, bin ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Die meisten Bahnhöfe verfügen über Orientierungshilfen, wie zum Beispiel die geriffelten Leitlinien auf dem Boden. Ich bin auf diese Leitlinien angewiesen, da mir das räumliche Sehen komplett fehlt. Leider erlebe ich es inzwischen fast täglich, dass die Leitlinien immer wieder von sehenden Personen sowie deren Gepäckstücken blockiert werden. Das erschwert mir den Weg zu meinem Ziel und bringt mich sogar in Verletzungsgefahr, da ich die betreffenden Personen oder Hindernisse entweder zu spät oder gar nicht sehe und auf Grund meines fehlenden Gleichgewichtssinnes sofort ins Stolpern gerate. Also seid bitte aufmerksam, haltet die Leitlinien frei und weist auch andere Personen darauf hin. Oft ist dies die einzige Möglichkeit für blinde und sehbehinderte Menschen, sich unterwegs zu orientieren.

Weitere Schwierigkeiten bereiten mir extreme Wetterverhältnisse, wie z. B. hohe Sonneneinstrahlung oder starker Wind, da dieser die Akustik beeinträchtigt und mir die Orientierung schwerer fällt. Auch Schnee und Eis sind gefährlich, da ich vereiste Stellen auf dem Boden nicht sehen kann und die Verletzungsgefahr für mich sehr hoch ist. Bei starkem Schneefall kann ich meinen Blindenstock nicht benutzen, was meine Mobilität erheblich einschränkt. Ich bin froh, dass ich an solchen Tagen und auch grundsätzlich mehrmals die Woche im Homeoffice arbeiten kann.

Anstrengend können auch die Begegnungen bzw. Auseinandersetzungen mit fremden Personen auf meinem Weg zur Arbeit sein. Es passiert durchaus, dass mich jemand aufgrund meiner Behinderung beleidigt. Das ist eine große emotionale Belastung. Ich wünsche mir viel mehr Toleranz und Aufmerksamkeit von anderen Menschen, die mit mir unterwegs sind.

Fazit

Inklusion und Barrierefreiheit sind keine bloßen Schlagworte, sondern essenzielle Themen, die mein tägliches Leben und das vieler anderer Menschen beeinflussen. Trotz moderner Technologien und Hilfsmittel sowie einem tollen Team bestehen Barrieren, die Inklusion erschweren: sei es durch nicht barrierefreie Websites oder physische Hindernisse im öffentlichen Raum. Mein Wunsch ist es, dass Barrierefreiheit an vielen Stellen kontinuierlich verbessert wird, um allen Menschen eine uneingeschränkte Teilhabe zu ermöglichen. Denn jeder Mensch auf dieser Welt ist einzigartig – egal ob mit oder ohne Behinderung. Und wir können alle von Inklusion und Barrierefreiheit profitieren.  


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Tamara Piontek freut sich, von dir zu hören: t.piontek@neusta.de

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